Pastinaken in Print – Wurzelgemüse reloaded
Nach zwei Pastinaken raus!-Ausstellungen in der Färberei und im Gasteig und zwei Raus-Revuen in den Münchner Kammerspielen folgt nun die nächste Auflage der Wurzelgemüseaktion gegen Rassismus: Am 21.3. erscheint das Handbuch „Pastinaken raus!“, das die Aktionen der vergangenen Jahre dokumentiert und sich zugleich als Dossier zur Nachahmung des Konzepts versteht.
Hier im Blog gibt’s vorab schon einige Auszüge vor der Release Party am 21. März im KÖŞK. Die Zitate stammen aus Beiträgen von Mitwirkenden an den Ausstellungen oder den Revuen oder sind Niederschriften persönlicher Erfahrungen mit Rassismus – und zeigen, wie wichtig Aktionen und Ideen gegen Rechtspopulismus, Rassismus und andere Formen der Ausschließung (das Buch thematisiert auch Ausgrenzungsbewegungen gegen Behinderte, LGBTI-Menschen oder von Armut Betroffene) sind und bleiben.
Matthias Weinzierl über das Buch:
Aber noch einmal zurück zu unseren Anfängen. Wie war das noch mal 2011? Wir erinnern uns: Die von Thilo Sarrazins Buch ausgelöste krude und islamophobe Debatte war taufrisch und allerorten machten sich erste Keimlinge dieser Saat bemerkbar. Das ‚Das-wird-man-doch-mal-sagen-dürfen-Pflänzchen‘ gedieh prächtig und blühte in Form erster, meist klammheimlich geäußerter Tabubrüche und zaghafter verbaler Entgleisungen überall auf – an Stammtischen, auf Elternsprechtagen, an WG-Küchentischen und zunehmend auch im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis. […] Das gängige Klischee vom Springerstiefel tragenden Glatzen-Nazi hat ausgedient.
Sie [die Publikation „Pastinaken raus!“, Anm. d. Red.] ist einerseits ein selbstreflexiver Ausstellungskatalog; am Projekt Beteiligte geben darin Einblicke in ihre Erfahrungen während ‚Pastinaken raus!‘ und die Motivation für ihr Engagement gegen die Abwertung und Diskriminierung von gesellschaftlichen Gruppen. Daneben soll das Dossier als Inspiration für Neuauflagen von Pastinaken raus! dienen – in München oder anderswo. Deshalb kommt ein großer Teil des Dossiers ohne Bezug zur bayerischen Landeshauptstadt aus und ist, ähnlich wie die Ausstellung, fragmentarisch angelegt. Mit der fragmentarischen Form möchten wir zur kreativen und selbstreflexiven Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen in Deutschland virulenten Formen der Abwertung von gesellschaftlichen Gruppen anregen.
Das Pastinaken-Problem hält sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen:
Unsere gewählte Platzhalterin ‚Pastinake‘ ist ein relativ geschmackarmes und in Vergessenheit geratenes Wurzelgemüse, was aber bei von uns durchgeführten Interviews in der Münchner Fußgängerzone Passant/innen nicht daran gehindert hat, sich erbost über das anhaltende ‚Pastinakenproblem‘ zu äußern.
Die Münchner Künstlerin Gabriele Obermeier lud vor dem Salon Sarrazin zum «Pastinaken Schnitzen» ein. Ihre erste Frage in die Runde lautete, ob jemand weiß, was Pastinaken sind. Eine junge Frau meinte: «Oh ja, das ist ein ganz böses Wort für Ausländer». Gabriele sagte: « Ah ja, bei uns ist das ein Wurzelgemüse, ähnlich der Petersilienwurzel.» Die junge Frau widersprach: «Nein, bei uns in Hamburg ist das ein böses Wort oder täusch ich mich jetzt – es gibt aber ein ähnliches Wort. Aber ich musste mich gerade so ärgern. Am Rosenheimer Platz stehen die Leute von der unsäglichen Partei «Die Freiheit» und sammeln Unterschriften gegen den Moschee-Bau.» Darauf meinte eine andere Teilnehmerin: «Ja, da habe ich auch unterschrieben.» Daraufhin fragte ich: «Aber aus welchem Grund haben Sie da unterschrieben?» Die Teilnehmerin antwortete «Naja, ich bin eben für den Erhalt von Grünflächen.»
Auch wenn es manchmal nicht direkt als Pastinaken-Problem artikuliert wird… Alltägliche Rassismuserfahrungen wie die folgenden versammelt das Buch ebenfalls:
Eine ältere Dame in rotem Mantel und perfekt dazu passendem roten Lippenstift betritt den Raum. Sie lässt sich neben mir auf dem Sofa nieder. Kurz darauf legt sie los: Das mit den «vielen Migranten in Deutschland» sei ja schon ein Problem. Sie selbst sei ja auch Ausländerin, «aus Frankreich» nämlich. Damals habe sie ihr «ganzes Vermögen» mit nach Deutschland gebracht. «Keinen einzigen Cent» habe sie vom deutschen Staat jemals in Anspruch genommen. «Die aus dem Osten» aber, die kämen nur wegen «dem Geld». Und so weiter … Als ich ansetze, um mit der Frau über ihre Aussagen zu diskutieren, dreht sie sich zu ihrem anderen Nachbarn um, einem Mann Mitte 40: «Hach, schauen sie sich dieses junge Ding an, so naiv, die glaubt noch an das Gute im Menschen.»
Nachbarin über meinen äthiopischen Besuch: «Da laufen immer so halberte Ausländer im Haus rum.» Hausbesitzer am Goetheplatz: «Ich vermiete nicht an Ausländer, die kochen so komisch.» Arbeitslose : «Die Ausländer bekommen alle schnell die deutsche Staatsangehörigkeit, wir Österreicher nicht!» Frau schreit: «Kann mich nicht jemand aus dem Hasenbergl rausholen, überall nur Ausländer!»
„Ich habe also endlich einen Termin beim Augenarzt, weil ich denke, dass ich eine Brille brauche. Kaum kommt der Arzt ins Sprechzimmer, fragt er auch schon: «Und, wo kommen Sie eigentlich her?» Darauf ich, mich erinnernd, dass wir uns in Taufkirchen befinden: «Aus München». Der Arzt: «Aber ursprünglich?» Mittlerweile ist mir klar, dass nun die übliche Fragenkette nach Verwandtschaft und Abstammung folgen wird, und ich gebe die einzig zufriedenstellenden Antwort: «Mein Vater ist Amerikaner.» (Dass das noch gar nichts klarstellt, ist demArzt scheinbar nicht bewusst). Dann entscheideich mich, den Spieß umzudrehen und beginne, den Arzt nachseiner Herkunft auszufragen. Er antwortet zuerst belustigt: «Ich bin Deutscher.» Ich frage aber unermüdlich weiter nach seinen Vorfahren: «Aber wo kommt Ihr Vaterursprünglich her? Und Ihre Großmutter?» Schließlich muss er zugeben, dass eine seiner Grossmütter aus Dänemark kommt. Ich gebe mich zufrieden und sage erleichtert: «Ach so, ja genau!» Jetzt kann die Augenuntersuchung beginnen.“
Aber es werden natürlich auch Anleitungen für Gegenentwürfe formuliert: Ein Rezept über den kreativen Umgang mit rassistischen Hassschreiben. Man sammle Hass-Briefe wie die folgende E-Mail an den Bayerischen Flüchtlingsrat:
Die Situation mit den auf die Bäume am Sendlinger-Tor-Platz gekletterten Flüchtlinge wurde großartig gelöst. Da diese in den neuen Unterkünften wieder nicht zufrieden sind,mein Vorschlag: ab damit in das Affenhaus in Hellabrunn, da können sie den ganzen Tag auf Bäumen verbringen, was ihrer Mentalität sicher mehr entspricht als ein steriles Hotelzimmer! Es grüßt Sie herzlich, H.W., ein im Krieg (1941) geborenes Münchner Kindl
Anschließend benötigt man befreundete TheatermacherInnen und Schauspieler und bringt mit deren Hilfe diese Hassmails als theatrae Lesung auf die Bühne der Stadt, um sie dort performativ zu vernichten, indem man sie am Ende der Lesung durch den Reißwolf gejagt werden – wie bei Noise of Heimat 2015 in den Münchner Kammerspielen:
Und so wurde am 21. März 2015, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, im Werkraum der Münchner Kammerspiele der Noise of Heimat aufgedreht: die Kammerspielschauspieler Wiebke Puls, Stefan Hunstein und Wolfgang Pregler verlasen mit Grandezza und manchmal auch mit dem nötigen, distanzierten Ekel Perlen der abendländischen Hetzkultur. Textlich im Zentrum standen dieses Mal einzig und allein Pöbelbriefe, die den Bayerischen Flüchtlingsrat innerhalb eines Jahres erreicht hatten, meist Hasstiraden aus dem E-Mail-Postfach mit dem euphemistischen Titel «Lob & Tadel». Diese Pöbelbriefe wurden nach der Lesung ihrer eigentlichen, einzig richtigen Bestimmung zugeführt: oben erwähntem Schredder. Der dabei entstandene Sound war ein Genuss für Leser und Zuhörer und erzeugte zugleich eine kathartische Genugtuung bei den Adressaten dieser Schmähungen. Anton Kaun mischte on stage den Sound und die Bilder dazu, die diese menschenverachtenden Machwerke verdient haben. Entstanden ist ein lauter, bisweilen irritierend-verstörender Abend über Schreihälse, Angstmacher und den Aufmarsch der Stammtische.
Und nicht zuletzt enkräftet das Pastinaken raus!-Buch gefühlte Wahrheiten entkräftet und widerlegt sie mit Fakten:
FLÜCHTLINGSWELLEN STRÖMEN NACH DEUTSCHLAND
Fakt ist: Rund 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, ein Großteil flieht innerhalb der eigenen Landesgrenzen in ein etwas sicheres Gebiet. Hauptaufnahmeländer von Flüchtlingen sind derzeit die Türkei, Pakistan und Libanon. In Deutschland wurden 2015 insgesamt 1.091.894 ankommende Flüchtlinge registriert. Die tatsächliche Zahl der Asylanträge wird aufgrund von Fehl- und Doppelregistrierungen sowie Weiterwanderungen in andere EU-Länder deutlich niedriger sein. Bayern ist entsprechend seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für 15,52 % dieser Flüchtlinge zuständig, das waren 2015 ca. 150.000 Menschen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl lag Deutschland 2015 (Januar-September) als Antragsland nur an 4. Stelle in Europa.EINE FLÜCHTLINGSUNTERKUNFT FÜHRT ZU STEIGENDER GEWALT UND KRIMINALITÄT IN DER REGION
Fakt ist: Der Anteil der straffälligen Personen unter den Flüchtlingen ist genauso hoch wie der unter Deutschen. Aber es ist für Flüchtlinge leichter straffällig zu werden, da für sie Sondergesetze bestehen: sie unterliegen für die Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung der Residenzpflicht und dürfen sich legal lediglich in dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt bewegen, in der sie untergebracht sind. Verstöße gegen die Residenzpflicht gelten als Straftaten und können mit Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden.
Auszüge aus Pastinaken raus! – Ein Handbuch. Herausgegeben von Matthias Weinzierl und Till Schmidt in Zusammenarbeit mit Die Färberei, Kreisjugendring München-Stadt. München 2016.
Illustrationen: Leo Rothmoser
BOOK RELEASE PARTY IM DOPPELPACK
Pastinaken raus! + migrantenstadl
Montag, 21.3.2016, ab 20 Uhr
Mit Dj Ü und Noise-Performance von Rumpeln, Getränken und ambulanter Integrations-Operation
Barrierefrei + Eintritt frei!
Eine Veranstaltung von migrantenstadl + Die Färberei im Köşk
www.pastinaken-raus.de
www.dasmigrantenstadl.blogspot.com